Mülheim: Ende der lokalen Demokratie? Wiederbelebung fraglich. Ist es in Duisburg anders?

Text von Lothar Reinhard, MBI-Fraktionssprecher im Rat der Stadt Mülheim

Auf einer Sondersitzung des Ältestenrats letzte Woche verkündete der Oberbürgermeister, dass 42 der 54 Mülheimer Stadtverordneten – und damit bereits mehr als 2/3 – sich jede/r persönlich einverstanden erklärt hat, die Ratssitzung am 19. Februar und damit die Etatverabschiedung dem Hauptausschuss (HA) zu übertragen. Weiter erläuterte die Verwaltung, wie bis mindestens Ende Februar alle weiteren Gremien stattzufinden hätten:  Alle Anträge/Anfragen der Fraktionen, außer zur gesetzlich vorgeschriebenen Etatberatung, werden von der Tagesordnung genommen, Fragestunden werden schriftlich beantwortet, aber nur wenn Fragen vorher schriftlich eingereicht werden. Berichte der Verwaltung werden vertagt, außer wenn sie „zeitkritisch“ sind.

Die MBI hatten vorgeschlagen, wenn schon in kleinerer „Notbesetzung“, dann dies mit einer Drittelung plus Fraktionslose zu tun. Kein einziger der anderen Ratsmitglieder, obwohl alle angeschrieben waren, hat zwei Wochen lang auf die MBI-Vorschläge reagiert, niemand wollte begründen, warum ein HA besser sei, so wie OB und Verwaltung es wollten. Kurz vor Schluss stimmten dann wenigstens „Die Partei“ und zwei der drei Solisten im Rat dem MBI-Vorschlag zu. Dass ohnehin keine Diskussion darüber möglich war, ob der Riesensaal in der Stadthalle nicht doch risikolos eine Ratssitzung in voller Stärke ermöglichen könnte, war klar, nachdem WAZ und Mülheimer Woche im Dezember heftig dagegen gewettert hatten, dass der Rat trotz Lockdown fast vollständig getagt hatte. Bei all den vorgegebenen Hygienemaßnahmen war übrigens logischerweise „natürlich“ keine/r infiziert worden, doch solche Gesichtspunkte interessieren z.Z. nicht, auch nicht die Stadträte.
Der für Finanzen und Immobilien zuständige Ausschuss am 18. Januar war dann z.B. auch nach 20 Minuten vorbei, obwohl von zentraler Bedeutung, nicht nur wegen der VHS-Zukunft. Alle fügten sich brav.  Natürlich könnte man auch fragen, wieso die Ansteckungsgefahr mit Corona bei einer Ausschusssitzung von ein oder zwei Stunden erhöhter wäre, wo doch alle Ausschüsse oder BV`s nur mit Maske und großem Abstand und nur im Ratssaal tagen, doch solche Fragen … s.o.

Die kommunale Demokratie in Mülheim hat sich also mit Verweis auf Corona selbst entmündigt und freiwillig bevormunden lassen. Was uns als MBI am meisten erschreckt, ist dabei nicht, dass Sitzungen gestrichen, kastriert, verkleinert o.ä. werden, sondern dass eine öffentliche Diskussion darüber nicht möglich ist.

Die Corona-Verordnung des Landes zu Sitzungen von Räten und politischen Gremien ist nämlich völlig schwammig und das aus guten Gründen: Es wäre grob verfassungswidrig jede Art von Parlament vollständig zu entmündigen, nur mit dem Verweis auf die Infektionslage. Also gibt die Landes-Exekutive nur Empfehlungen, keine eindeutigen Anweisungen.

Man hofft und geht davon aus, dass alle untergeordneten Stellen dem widerspruchlos folgen und die vom Volk gewählten Vertreter sich freiwillig in eine Art Schlafmodus begeben.

Noch sind diese nach den Wahlen vom September nicht wirklich tätig geworden, haben in einer ersten Runde in Nov./Dez. außer Selbstorganisation mit ganz wenigen Ausnahmen nur pflichtgemäß ein paar gesetzlich vorgeschriebene Vorgaben der Verwaltung zumeist vollends diskussionslos abgenickt und waren ansonsten nur mit den Corona-Auflagen und -verordnungen beschäftigt.

Im Gegensatz dazu arbeiten OB und Verwaltung mit Volldampf. Die kommunale Exekutive stellt ununterbrochen Leute ein, vergibt Aufträge, erteilt Baugenehmigungen, verkündet Corona-Einschränkungen, sorgt für dauernde Kontrollen und Strafen für angebliche Corona-„Sünder“ uswusf.

Der Kämmerer brachte am 17. Dezember um Monate verspätet den Etat 2021 ein. Laut Zugeständnis des Landes muss der aber bis Ende Februar beschlossen werden. Das darf nur der Rat und auch nur mit physischer Abstimmung bei einem Rest von Öffentlichkeit wegen der Gewissensfreiheit der gewählten Volksvertreter. Alle Ausschüsse und BVs müssen vorberaten und Empfehlungen bzw. Änderungsvorschläge zum Etat beschließen oder dies auf den Rat übertragen.

Kurzum: Der Etat ist das mit Abstand Wichtigste, was die kommunal gewählten VolksvertreterInnen zu tun haben. Der HA, der nicht den Mehrheitsverhältnissen des gewählten Rats entspricht, wird wohl den Etat des Kämmerers mit dünner schwarz-grüner Mehrheit beschließen und Mülheim hat ein weiteres Jahr verloren, in dem wichtige Weichen anders hätten gestellt werden können bzw. müssen.

Machen wir uns nichts vor: Mit lebendiger Demokratie hat das alles nur noch wenig zu tun und es ist zu befürchten, dass sich nach Ende der Pandemie, wann auch immer, eine Wiederbelebung der kommunalen Demokratie sehr schwierig gestalten wird.